Zur Ersatzfähigkeit der Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt bei fiktiver Reparaturkostenabrechnung

AG Berlin-Mitte, Urteil vom 31.01.2008 – 13 C 3201/06

Ersatzfähigkeit der Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt bei fiktiver Reparaturkostenabrechnung

Tenor

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 487,96 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, die Beklagte zu 1) seit dem 31.08.2006, der Beklagte zu 2) seit dem 6.03.2007, zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche Schäden der Hälfte nach zu ersetzen, die aus der Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung bei der A Versicherungs- AG (Schadennummer: 10 Kraftfahrer …-H/Grx) aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 29. Juni 2006 entstanden sind und entstehen werden.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 67 Prozent und die Beklagten als Gesamtschuldner 33 Prozent zu tragen.

4. Das Urteil ist im Hinblick auf die bezifferte Forderung und wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung gegen sie durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des gegen sie beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 29.06.2006, gegen 12.00 Uhr auf der Kstraße/Ecke Kstraße in … B zwischen dem Fahrzeug des Klägers Typ Mercedes-Benz S 320 mit dem amtlichen Kennzeichen … und dem vom Beklagten zu 1) gehaltenen und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw Mercedes-Benz mit dem amtlichen Kennzeichen ….

Der Kläger befuhr die Kstraße in Richtung Kstraße. Als er das Fahrzeug des Beklagten zu 2) überholte, kam es zur Kollision. Der genaue Unfallhergang ist streitig.

Der Kläger behauptet, der Pkw des Beklagten zu 2) sei an der Ecke Kstraße/Kstraße auf der rechten Straßenseite ordnungswidrig an der Schnittkante der beiden Bürgersteige und unter Behinderung des fließenden Verkehrs geparkt gewesen. Als er beim Überholvorgang auf gleicher Höhe mit dem Beklagtenfahrzeug gewesen sei, sei dieses plötzlich angefahren, dabei nach links ausgeschwenkt und in die Beifahrerseite seines Fahrzeugs gefahren.

Zum Umfang der Beschädigung am Klägerfahrzeug holte die Beklagte zu 1) ein Sachverständigengutachten der DEKRA ein, für dessen Inhalt auf Bl. 10 bis 15 der Akte Bezug genommen wird. Nach dem DEKRA-Gutachten belaufen sich die notwendigen Instandsetzungskosten auf netto 3.955,13 Euro.

Der Kläger berechnete der Beklagten gegenüber seinen Sachschaden auf der Basis der Stundensätze der Daimler Chrysler AG und machte Reparaturkosten in Höhe von 4.511,72 Euro netto geltend. Zusätzlich verlangte der Kläger Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 260,00 Euro und eine allgemeine Auslagenpauschale in Höhe von 26,00 Euro. Insgesamt bezifferte der Kläger den ihm entstandenen Schaden mit 4.797,72 Euro. Mit Schreiben vom 30.08.2006 lehnte die Beklagte zu 1) die Regulierung ab.

Nachdem der Kläger zunächst beantragt hat,

die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an ihn 4.797,72 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.08.2006 zu zahlen,

hat er, nachdem er seine Vollkaskoversicherung zur Schadensregulierung in Anspruch genommen hat, die Klage mit Schriftsatz vom 27.02.2007 in Höhe von 3.915,13 Euro zurückgenommen und die Klage gegen den Beklagten zu 2) erweitert. Der Kläger macht mit der gegenständlichen Klage noch die Selbstbeteiligung in Höhe von 300,00 Euro, die Nebenkostenpauschale von 26,00 Euro sowie die Differenz bei den Stundenverrechnungssätzen in Höhe von 556,59 Euro geltend. Die Klageerweiterung ist den Beklagten am 6. März zugestellt worden.

Der Kläger beantragt nunmehr,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn 882,59 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, die Beklagte zu 1) seit dem 31.08.2006, der Beklagte zu 2) seit Rechtshängigkeit, zu zahlen,

2. es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, die aus der Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung bei der A Versicherungs- AG (Schadennummer: 10 Kraftfahrer …-H/Grx) aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 29. Juni 2006 entstanden sind und entstehen werden.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Nachdem die Beklagten zunächst vorgetragen haben, der Beklagte 2) habe, bevor er aus er Kstraße in die Kstraße einbiegen wollte, rechts an der Ecke zur Kstraße angehalten und der Kläger habe sich beim Überhol- und Abbiegevorgang verschätzt und habe das haltende Fahrzeug des Beklagten zu 2) gestreift, haben sie mit Schriftsatz vom 2.10.2007 richtig gestellt, dass das Beklagtenfahrzeug während des Überholvorganges durch den Kläger in Bewegung war, wie im Parallelverfahren mit umgekehrtem Rubrum 115 C 3244/06 vorgetragen.

Die Beklagten sind der Meinung, die vom Kläger bei seiner Schadensberechnung zugrunde gelegten Stundensätze seien überhöht. Der Kläger könne lediglich den von der DEKRA ermittelten abstrakten Mittelwert der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Marken- und freien Fachwerkstätten einer Region, wie im von der Beklagten zu 1) eingeholten Gutachten zugrunde gelegt, in Ansatz bringen. Selbst wenn man der Auffassung des Klägers folgen würde, könne er nicht die teuerste Reparaturmöglichkeit zu Grunde legen. Die Beklagten verweisen insoweit auf den autorisierten Mercedes-Benz-Service der Fa. K.I.B. Autoservice GmbH, bei der die Reparaturkosten für den vom Kläger geltend gemachten Schaden 3.947,59 Euro betragen würden.

Die Beklagen bestreiten weiter, dass dem Kläger aufgrund der Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung ein Rabattverlust entstehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Die Akte des Polizeipräsidenten in B …0 und die Akte … lagen zur Information vor.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen M R. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 15.03.2006 (Bl. 80, 81 d. A.) verwiesen. Das Gericht hat weiter Beweis erhoben aufgrund des Beweisbeschlusses vom 19.04.2007 (Bl. 88 d. A) durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen B. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten (Bl. 97 – 128 d. A) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, auch soweit Feststellungsklage erhoben worden ist. Für das Feststellungsbegehren hat der Kläger ein rechtliches Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO, da sich der Schaden noch in der Fortentwicklung befindet. Der Kläger begehrt die Erstattung des Rückstufungsschadens, wobei zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststeht, ob und in welchem Umfang sich die Rückstufung im Vermögen des Geschädigten tatsächlich nachteilig auswirken wird (vgl. BGH, VersR 1991,788 f.).

Die Klage ist jedoch nur teilweise begründet.

Im Ergebnis haften die Beklagten nach §§ 823 BGB, 7, 17 StVG, 3 PflVG nur zu einer Quote von ½.

Der Unfallhergang ist im Einzelnen nicht mit der erforderlichen Sicherheit gemäß § 286 Abs. 1 ZPO aufklärbar. Das Gericht hat letztlich nicht feststellen können, dass sich der Unfall für eine der beteiligten Parteien als unabwendbares Ereignis dargestellt hat.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger links am Beklagtenfahrzeug vorbeigefahren ist und beim Abbiegen nach rechts im Bereich der Einmündung mit dem Beklagtenfahrzeug kollidiert ist. Des weiteren ist unstreitig, dass sich beide Fahrzeuge zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes in Bewegung befanden.

Beide Parteien sind für das Vorliegen der Voraussetzungen des gegen den Gegner streitenden Anscheinsbeweises darlegungs- und beweispflichtig. Jedoch ist es keiner der Parteien gelungen, den von ihr behaupteten Unfallhergang unter Beweis zu stellen.

Soweit der Kläger sich darauf beruft, der Beklagte zu 2) habe gegen § 10 StVO verstoßen, weil er zunächst am Fahrbahnrand gehalten habe und dann wieder angefahren sei, kann ein gegen den Beklagten zu 2) sprechender Anscheinsbeweis nur dann angenommen werden, wenn feststünde, dass dieser vorher tatsächlich angehalten hat. Dafür hat der Kläger jedoch keinen Beweis angeboten. Auch die Aussage des vom Beklagten zu 2) benannten Zeugen Richter lässt diesbezüglich keine Schlussfolgerungen zu. Abgesehen davon, dass der Zeuge den Unfall selbst nicht beobachtet hat, hat er lediglich bekundet, dass der Kläger dem Beklagten gegenüber nach dem Unfall geäußert habe, dass er beim Abbiegevorgang das Lenkrad nach rechts verzogen und so das Fahrzeug des Beklagten geschrammt habe. Dies lässt keine Rückschlüsse darauf zu, ob das Beklagtenfahrzeug durchgängig in Bewegung war oder nach vorherigem Anhalten wieder angefahren ist.

Auch die Beklagten haben die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anscheinsbeweises gegen den Kläger aus § 9 Abs. 1 Satz 2 StVO nicht beweisen können. Ein Anscheinsbeweis käme nur dann in Betracht, wenn feststünde, dass der Beklagte zu 2) – wie er behauptet – mit seinem Fahrzeug die ganze Zeit in Fahrt war, so dass er einen einheitlichen Abbiegevorgang vorgenommen hat. Dies wird klägerseits jedoch bestritten. Wie bereits dargelegt, helfen auch hier die Bekundungen des Zeugen R nicht weiter.

Nach alledem haften beide Unfallgegner gemäß der nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Haftungsabwägung unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nach einer Quote von 50:50.

Die geltend gemachte Selbstbeteiligung in Höhe von 300,00 Euro steht dem Kläger als quotenbevorrechtigter Schaden in voller Höhe zu.

Allerdings muss sich der Kläger, was den geforderten Differenzbetrag von 556,59 Euro hinsichtlich der Stundenverrechnungssätze angeht, einen Abzug von 200,68 Euro machen lassen. Zwar ist das Gericht mit dem Kläger der Auffassung, dass ein Geschädigter, der fiktiv auf Gutachtenbasis abrechnet, die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen kann. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung hat der Geschädigte eines Verkehrsunfalls grundsätzlich einen Anspruch auf Ersatz der in einer Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten, unabhängig davon, ob er den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt. Ziel des Schadensersatzes ist die Totalreparation. Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei (vgl. BGHZ 155, 1 ff m. w. Nachw.).

Bei der Berechnung der Schadenshöhe ist der Bundesgerichtshof in der vorzitierten Entscheidung zu der Frage der Höhe von Stundenverrechnungssätzen von folgendem ausgegangen: Unter dem Grundsatz der Schadensminderungspflicht ist der Geschädigte zwar grundsätzlich gehalten, im Rahmen des ihm zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Dabei genügt es aber im allgemeinen, dass er den Schaden auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens berechnet, sofern das Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden. Das Grundanliegen des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll, darf bei der Bewertung nicht aus den Augen verloren werden. Der Geschädigte muss sich danach nur dann auf eine günstigere – und gleichwertige – Reparaturmöglichkeit verweisen lassen, wenn ihm diese mühelos ohne weiteres zugänglich ist. Ist dies jedoch nicht der Fall, etwa weil die vom Sachverständigen angesetzten Stundenverrechnungssätze in den regionalen markengebundenen Fachwerkstätten tatsächlich anfallen, muss er sich auf die abstrakte Möglichkeit der technisch ordnungsgemäßen Reparatur in irgendeiner kostengünstigeren Fremdwerkstatt auch unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht nicht verweisen lassen.

Hier liegt der Fall jedoch so, dass der Kläger die Berechnung seines Schadens nicht auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens vorgenommen hat, sondern bei der Berechnung die Stundenverrechnungssätze der Daimler Chrysler AG in Ansatz gebracht hat. Das vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten hat zwar ergeben, dass die Berechnung des Klägers bei Berücksichtigung der Stundenverrechnungssätze der Daimler-Chrysler AG nachvollziehbar ist, jedoch hat der Gutachter auch dargelegt, dass es andere autorisierte Mercedes-Benz-Fachwerkstätten gibt, bei denen die Reparatur der geltend gemachten Schäden billiger wäre. Insoweit wird auf die Auflistung im Gutachten (Bl. 126 d. A.) verwiesen. Das Gericht ist mit den Beklagten der Auffassung, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Reparaturkosten in der teuersten markengebundenen Werkstatt hat, allerdings gehen die Beklagten fehl, wenn sie meinen, der Kläger müsste sich auf das günstigste Angebot verweisen lassen. Der Verweis auf eine einzige ganz bestimmte Werkstatt und deren Preise ist im Rahmen fiktiver Abrechnung unzulässig, weil sie das Wahlrecht des Geschädigten missachtet und all die Motive, die neben dem Preis für die Auswahl einer Werkstatt eine Rolle spielen, ignoriert. Vielmehr stehen dem Geschädigten die ortsüblichen durchschnittlichen Preise einer markengebundenen Fachwerkstatt zu. Im Rahmen der notwendigen Schätzung nach § 287 ZPO hat das Gericht unter Zugrundelegung der vom Sachverständigen ermittelten unterschiedlichen Angebote der Fachwerkstätten den Mittelwert berechnet, wonach sich die Reparaturkosten für den geltend gemachten Schaden auf 4.311,04 Euro belaufen. Dem Kläger stehen demnach lediglich weitere 177,96 Euro (355,91 x 50%) zu.

Die Kostenpauschale hält das Gericht ohne weiteren Nachweis lediglich in Höhe von 20,00 Euro für angemessen, so dass der Kläger nach der ausgeurteilten Quote einen Betrag von 10,00 Euro geltend machen kann.

Den im Wege der Feststellungsklage geltend gemachten Rückstufungsschaden hat der Kläger durch Vorlage der künftigen Beitragsberechnung durch die A-Versicherung (Bl. 87 d. A.) nachgewiesen. Dieser ist als nicht kongruente Schadensposition nach der Haftungsquote auszugleichen.

Der Zinsanspruch hat seine Rechtsgrundlage in §§ 286, 288, 291 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 269 Abs. 3, 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11,711 ZPO.

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